Die Geschichte eines Obdachlosen im angeblichen “Uns-geht-es-gut-Land” vom Eifelphilosoph.

Mittwoch, 7.5.2014. Eifel. Kennen Sie André Heinz M.? Geboren am 8.10.1964? Wahrscheinlich nicht. Sie werden ihn auch nicht kennenlernen. Er war gelernter Schiffsmechaniker, starb am 20.2.2014. Eine Facebookintiiative hat dafür gesorgt, dass er ein Grabkreuz bekommt, die Stadt hätte ihn sonst – nach der Einäscherung – im Reihengrab verscharrt. Es gibt unter der oben verlinkten Adresse auch ein Videointerview, wer will, kann sich André näher anschauen. Er war Zeuge eines Brandanschlages auf Obdachlose, der die Öffentlichkeit in Deutschland nicht groß interessiert hat (obwohl sogar die “Bild” in “feige” nennt), wir interessieren uns eher dafür, dass die “Geißens” beliebter sind als die “Simpsons” – das ist unsere Welt. Eine tote Welt bunter Lügenbilder, die wir täglich bewusst konsumieren … und die uns täglich ein bischen mehr “untot” werden läßt.

Untot – heißt: nicht mehr ganz lebendig, nicht mehr menschlich … aber noch nicht ganz tot.

Wissen Sie, was André's größter Wunsch war?

 

Eine Toilette. Ja – er war obdachlos. Seine Lebensgeschichte werden wir nie erfahren – was ich sehr schade finde. Solche Menschen haben in der Regel eine viel spannendere Geschichte zu erzählen als die Käfigmenschen, die in vorgefertigten Jobs ihr Leben verbrennen. Ja – am Ende des Lebens wird man das merken: was einen interessant gemacht hat, was einem einen unverwechselbaren Charakter gegeben hat, waren nicht die Zeiten, wo man der vorgegebenen Norm von Arbeitgebern und Werbeindustrie entsprochen hat, sondern Zeiten, wo man dem Wind trotzt und erfolgreich gegen den Strom schwamm.

 

Bäume sind da ähnlich. Schön finden wir jene, die allein, gut gewachsen auf freiem Feld stehen. Jene, die kerzengerade in Reih´ und Glied zum Zwecke des Holzerwerbs düster die Wälder verunstalten, gelangen seltener auf Hochglanzposter.

Die Käfigmenschen haben Toiletten. Sie haben alles, was eine Legehenne auch braucht, jede Sekunde ihres Tages ist strukturiert und durchgeplant – und je mehr man sich dem unterwirft, umso höher steigt man in der Hierarchie.

 

Ich habe da mal ein Beispiel herausgesucht, gefunden bei der Initiative Wirtschaftsdemokratie:

Meine Arbeitswoche begann montags um vier Uhr in der Früh. Da klingelte der Wecker, und die Reise zum Kunden begann. Jeden Tag um 18 Uhr war es Zeit für den sogenannten Battle Call: eine mehr oder weniger kurze Sitzung, in der das Projektteam besprach, welche Aufgaben noch am selben Tag zu bewältigen seien. Feierabend selten vor 23 Uhr. Leistung ist in diesem System die einzige Religion. Wer das Risiko scheut, überlebt am besten. Die Leute sind ängstlich und brutal ehrgeizig, Statussymbole sind ihnen wichtig. Und man muss technokratisch veranlagt sein, sonst langweilen einen die Analysen und scheinrationalen Prognosen…“

 

Ich kenne solche Arbeitstage aus eigener Anschauung. Ich weiß auch, was man damit verdienen kann … und welchen Preis man dafür bezahlt: das Denken stirbt. Das Leben reduziert sich schnell auf bloße Reaktion auf Außenreize. Man wird wieder zu einem Tier im Dschungel – aus reiner Müdigkeit. Jahre wertvollen, unwiederbringlichen Lebens verstreichen so völlig nutzlos.

Völlig nutzlos?

Denken Sie mal drüber nach: wer hat schon jemals auf seinem Sterbebett geäußert, dass es sein größter Fehler war, damals nicht länger im Büro geblieben zu sein, noch einen Kunden zusätzlich besucht oder noch schnell nach Feierabend ein paar Paletten umsortiert zu haben – Gedanken, die in einem Film zur Senkung der Arbeitsmoral zur Sprache kommen.

Ein Film von Marc Bauer aus dem Jahre 2013 über die Masters of the Universe zeigt die Gegenwelt, die Spitze unserer menschlichen Existenz (siehe Spielboden.at):

Er war einer der führenden Investmentbanker in Deutschland. Er machte Gewinne in Millionenhöhe. Jetzt sitzt er in einer verlassenen Bank mitten in Frankfurt und redet zum ersten Mal. Eine beängstigende Innenperspektive aus einer größenwahnsinnigen, quasi-religiösen Parallelwelt hinter verspiegelten Fassaden.

Als Investmentbanker verschob er Milliardenbeträge per Mausklick und verdiente weit über eine Million Euro im Jahr.

Wer in die Turm-Welt aufgenommen wird, zahlt einen hohen Preis. Das Anforderungsprofil, das Voss beschreibt, klingt, als gebe man seine Persönlichkeit in der Lobby ab: „Angenommen, Sie wollen da rein. Wie muss ich sein? Was erwartet mich da? Auf jeden Fall ohne Murren Schulterklappen sammeln. Die Schulterklappen sammelt man durch One-Nighter oder Two-Nighter. One-Nighter ist, wenn Sie eine Nacht im Büro schlafen, Two-Nighter sind zwei Nächte, das heißt: Durcharbeiten.“

 

Voss steht in einem ausrangierten Bankenturm und erzählt, wie das Belohnungssystem funktioniert. Wer genug Nächte durchgearbeitet habe, werde mit größeren Aufgaben belohnt, „aber nur, wenn Sie nicht den kleinsten Anschein des Zweifels erwecken, dass es vielleicht Sachen gibt, die man anders machen könnte“. Politische Äußerungen? „Bloß nicht! Sie müssen bereit sein, Ihr Leben aufzugeben.“

Sollte man sich zweimal durchlesen, damit es verstanden wird und sitzt: am anderen Ende des Beschäftigunsspektrums (welches vom Arbeitslosen bis zum Millionär reicht) wartet … die Aufgabe des Lebens für ein quasireligiöses System.

 

Quasireligiös?

 

In Form des Amerikanismus ist es eine Religion, eine zutiefst Asoziale sogar, die mehr und mehr unser ganzes Leben bestimmt – und die zu negieren umgehend als “Antiamerikanismus” gebrandmarkt wird. “Amerikanismus” durchdringt unsere Kultur durch und durch, überschreibt alte Werte in unglaublicher Geschwindigkeit, hunderte von “Ratgebern” und “Psychogurus” predigen sie, Unternehmensberater tragen sie in Firmen, Behörden und Universitäten hinein, sie wird – je nach Kundenkreis – als Mangementphilosophie, Motivationstraining oder Esoterik verkauft, ihr Sinn, ihre Funktion ist aber immer dieselbe:

 

Nach der Kollision mit dem Eisberg geht der Kapitän der Titanic zur dritten Klasse und sagt ihr: “Ab sofort seit ihr jetzt mal für euch selbst verantwortlich. Hört auf über euren Zustand zu klagen, es war eure Art zu denken, zu fühlen, zu leben, die euch in diese Situation gebracht hat. Hört auf zu jammern und zu klagen und dauernd andere für euer Schicksal verantwortlich zu machen! Seid nett zu euren Mitmenschen, packt eure Probleme selber an dann wird der Erfolg nicht auf sich warten lassen!” – sprachs, schloß die eisernen Türen ab und begab sich auf das Rettungsboot. Nein – der Kapitän der echten Titanic ging natürlich mit seinem Schiff unter –

Türen zur dritten Klasse wurden aber trotzdem verschlossen: Asozialität ist Urgrund des Amerikanismus.
Aus “Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst” ist “Kümmere Dich um Deinen eigenen Scheiß!” geworden.

Hier weiterlesen:

http://www.nachrichtenspiegel.de/2014/05/07/die-religion-der-asozialen-toedliches-zombieland-deutschland/

 

Gruß Hubert